20 Jahre nach Tschernobyl: Lebensmittelüberwachung zieht Bilanz

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[25.4.2006]
Als Folge des Reaktorunfalls vom 26. April 1986 nahe der Stadt Tschernobyl kam es auch in weiten Teilen Deutschlands zu Kontaminationen der Umwelt mit künstlichen radioaktiven Stoffen. Besonders betroffen war in Baden-Württemberg der Raum Oberschwaben, Ulm und der Bodenseekreis. Im Interesse des Verbraucherschutzes wurde innerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) umgehend ein vorläufiges Einfuhrverbot von Agrarerzeugnissen aus den durch radioaktiven Niederschlag stark kontaminierten Drittländern erlassen. Außerdem wurden im Eilverfahren Grenzwerte für Gesamtcäsium festgelegt, die bei der Einfuhr von Lebensmitteln in die EU nicht überschritten werden dürfen. 


Die Chemischen und Veterinäruntersuchungsämter Freiburg und Stuttgart haben seit 1986 insgesamt über 23.000 Lebensmittel-, Futtermittel- und Bodenproben untersucht. Während in der Anfangsphase erhöhte Belastungen der Lebensmittel mit den Radionukliden Jod 131/132, Tellur 132 sowie Cäsium 134/137 festgestellt wurden, spielt heute praktisch nur noch das langlebige Cäsium 137 mit einer Halbwertszeit von 30 Jahren eine Rolle.
 
Zur Beurteilung der radioaktiven Belastung, die sich aus der täglich aufgenommenen Nahrung ergibt, wurden von 1986 an in einem speziellen Untersuchungsprogramm wöchentlich die Mahlzeiten eines Krankenhauses untersucht. Selbst der höchste, im Jahr 1987 in der Gesamtkost, gemessene Wert lag um den Faktor 100 unterhalb des für Lebensmittel (Milch, Milcherzeugnisse ausgenommen) gültigen Grenzwertes von 600 Becquerel pro Kilogramm (Bq/kg) für Cäsium 137 und 134. Die Werte sind seit 1987 bis zum Jahr 2004 von 6,5 Bq/Tag und Person auf unter 0,1 Bq/Tag und Person gesunken. Auch bei der Untersuchung von Milch aus heimischen Betrieben lagen die Mittelwerte von 1986 an stets unterhalb des noch heute gültigen Grenzwertes von 370 Bq/kg für Gesamtcäsium (Cs 137 und 134). Seit dem Jahre 1996 sind die Werte in Milch ganzjährig auf unter 1 Bq/l gesunken.
 
Belastungen in Folge des Reaktorunfalls sind heute nur noch bei einigen Pilzsorten sowie bei Wildschweinen relevant. Da der Cs-137-Gehalt in den oberirdischen Nahrungspflanzen des Rehwildes deutlich abgenommen hat, war bei Reh- und Rotwild im Verlauf der letzten Jahre ebenfalls ein signifikanter Rückgang der Cäsium-137-Kontamination festzustellen. Bei der Untersuchung von Rehfleisch im Jahr 2003 lag der Maximalwert bereits um den Faktor sieben unterhalb des zulässigen Grenzwertes.
 
Diese Entwicklung trifft allerdings nur teilweise für Wildschweine zu. Sie weisen abhängig vom Nahrungsangebot und Standort noch erhöhte Werte auf. Der Grund liegt in den besonderen Ernährungsgewohnheiten dieser Tiere sowie dem Verhalten von Radiocäsium im ökologischen System des Waldes. Wildschweine fressen in Jahren, in denen es wenig Eicheln und Bucheckern gibt, unter anderem den im Waldboden wachsenden, für den Menschen ungenießbaren Hirschtrüffel. Dieser unterirdische Pilz ist relativ hoch kontaminiert.

Zudem ist das Cäsium aus humusreichen Waldböden biologisch leicht verfügbar und kann somit von Pflanzen leicht aufgenommen werden. Nach deren Absterben wird es wieder der Humusschicht zugeführt, bleibt somit im natürlichen Kreislauf und lagert sich kaum in tieferen Schichten ab. Demgegenüber ist auf landwirtschaftlich genutzten Flächen das noch vorhandene Cäsium 137 im mineralischen Boden gebunden und daher für Pflanzen nicht so leicht verfügbar.
 
Aufgrund der Belastung von Wildschweinen wurde im Winterhalbjahr 2005/2006 ein Sonderuntersuchungsprogramm durchgeführt. Insgesamt wurde in zirka zehn Prozent der von September 2005 bis Februar 2006 untersuchten 778 Wildschwein-Fleischproben der Grenzwert von 600 Bq/kg überschritten, in belasteten Gebieten traten Überschreitungen in bis zu 25 Prozent der untersuchten Proben auf. Der gemessene Spitzenwert betrug 8728 Bq Cs-137/kg bei einem Wildschwein aus dem Landkreis Ravensburg. U

m zu verhindern, dass übermäßig belastetes Wildbret zum Verbraucher gelangt, hat das MLR daher gemeinsam mit dem Landesjagdverband ein intensives Überwachungssystem eingerichtet. In Gebieten, in denen eine erhöhte Radioaktivität bekannt ist, besteht eine 100-prozentige Kontrollpflicht. Dort werden alle erlegten Wildschweine durch die Jägerschaft auf Radioaktivität untersucht. Zusätzlich wird in den übrigen Regionen im Rahmen eines amtlichen Monitoringprogramms Wildbret stichprobenartig durch die Chemischen und Veterinäruntersuchungsämter Freiburg und Stuttgart untersucht.

Die Ergebnisdaten dieses Programms – auch unter Berücksichtigung der umfangreichen Messdaten der Fachhochschule Ravensburg-Weingarten – werden monatlich aktualisiert und zentral für Baden-Württemberg unter www.cvua-freiburg.de veröffentlicht.
 
Auch bei Wildpilzen werden abhängig vom Standort und von der Pilzart noch höhere Cäsium-Belastungen festgestellt. Seit 1986 wurden insgesamt 2.257 Pilze untersucht. Besonders Röhrenpilze, beispielsweise der Maronenröhrling, reichern Cäsium an, so dass hier vereinzelt noch Spitzenwerte von über 1.000 Bq Cs-137/kg auftreten. In den Jahren 1986 und 1987 lagen die Jahresspitzenwerte bei Maronenröhrlingen allerdings noch bei 25.000 und 30.000 Bq Cs-137/kg.

Da die Belastung bei Wildpilzen sehr stark vom Standort und der Pilzart abhängt, können für Pilzsammler keine allgemein verbindlichen Empfehlungen ausgesprochen werden. Eine Vermarktung von Wildpilzen ist aus Artenschutzgründen ohnehin nicht zulässig. Eine gelegentliche Pilzmahlzeit stellt jedoch heute kein nennenswertes Strahlenrisiko mehr dar. Wildpilze bestimmter Drittländer unterliegen speziellen Einfuhrkontrollen und dürfen nur bei Einhaltung des Grenzwertes von 600 Bq/kg in die EU eingeführt werden. Im Jahr 2004 wurden bei den Einfuhruntersuchungen keinerlei Überschreitungen festgestellt. Kultivierte Pilze sind hingegen in der Regel gering oder gar nicht belastet.
 
Generell zeigen die Untersuchungen, dass die Strahlenexposition durch künstliche Radionuklide in Lebensmitteln gering ist, einzelne Überschreitungen stellen keine konkrete Gefahr für die menschliche Gesundheit dar. So ist beispielsweise die Strahlenbelastung durch den Verzehr von 200 g Fleisch mit 4000 Becquerel Cäsium 137 pro Kilogramm mit der Belastung durch die Höhenstrahlung bei einem Flug von Stuttgart nach New York und zurück zu vergleichen.

Die Radioaktivität in Nahrung verursacht nur etwa zehn Prozent der gesamten Strahlenexposition des Menschen, wobei die nahrungsbedingte Belastung fast ausschließlich von der natürlichen Radioaktivität hervorgerufen wird. Im Sinne eines vorbeugenden Verbraucherschutzes besteht jedoch auch nach dem Strahlenschutz­vorsorgegesetz ein Minimierungsgebot. Das bedeutet, die Strahlenexposition des Menschen und die radiologische Kontamination der Umwelt sind so gering wie möglich zu halten.
 
Die ausführlichen Untersuchungsergebnisse der amtlichen Lebensmittelüberwachung werden veröffentlicht unter
www.untersuchungsämter-bw.de.

Quelle: Ministerium für Ernährung und Ländlichen Raum

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